Wednesday, November 28, 2012

Skopje!


No Data, Heinz Moni und El H. in der mazedonischen Hauptstadt

Irre, schon wieder ein langes Wochenende mit purem Rock'n'Roll überstanden. Dabei hat Marracash gar nicht gespielt. Dank dem unermüdlichen Mirko und seiner Kulturaktiv-Bande war das halbe Orchestra im Rahmen des music without borders Projektes im osteuropäischen Ausland. Konkret bei der PIN music conference in Skopje. Makedonia!Wie bei der vorangegangenen Konferenz letztes Jahr in Vukovar (Kroatien) waren auch in Skopje sämtliche Booker, Veranstalter, Promoter, Radiomacher etc. aus sämtlichen Ländern am Start, um verschiedene Bands und Künstler aus dem Underground untereinander zu vernetzen.

Und wir natürlich mittendrin und dank unserem kleinen Messeständchen, Martins ungeheuren Charme und Mirkos Hilfe beim Checkern ganz dick dabei. Gut so, schließlich steht im September eine weitere Balkan-Tour auf unserer Agenda. Von wegen Armageddon 2012. Dicke Hose 2013! Über den sehr zufriedenstellenden Erfolg unserer Promo-Attacke auf die Konferenzteilnehmer wollen wir aber hier gar nicht eingehen. Nur so viel: Wir sind voller Vorfreude auf das, was da kommen mag. Hier folgt nun stattdessen der Versuch einer einigermaßen angemessenen Abhandlung unserer wunderbaren Wochenend-Odyssee.


Herr Martin Grellman, Germany

Die mäßig bis sehr nette Kabinenchefin im Flugzeug von Berlin nach Thessaloniki erlaubt uns nach kurzer Diskussion doch, wovor der debil grinsende Stewart seine Augen verschließt. Mit Bier und anderen Erdungsmitteln, die wir in alter Ost-Manier selber mitgebracht haben, starten wir in den Süden. So lässt sich ein derartiger Biligflug doch viel besser ertragen. Und die Parole für die kommenden drei Tage ist somit auch gleich ausgegeben!

Praller Sonnenschein und ein reizendes mazedonisches Begrüßungskomitee, bestehend aus den Skopjern Lile und Giorgji, willkommen uns sehr freundlich in der Griechischen. Mit einem abgewrackten Iveco-Büschen treten wir die beschwerliche Weiterfahrt in den Norden an. Die soziale Umtriebigkeit des Busfahrers sorgt für den ein oder anderen Herzstillstand bei unserer 20-köpfigen Reisegruppe. Prädikat: sehr empfehlenswert. Mit ausgetrockneten Kehlen haben wir nach zwei Stunden endlich mazedonisches Territorium unter den Füßen und feiern diesen Erfolg mit dem ersten Skopsko an der erstbesten Tanke hinter der Grenze. Etliche weitere sollen folgen. Nastravje!


Mutter Cervesa

Nach Check-In im Hotel und einem grandiosen Abendessen in einem traditionellen mazedonischen Restaurant beginnen wir mit dem wichtigsten Teil unserer Mission. 'Socialising' wie man auf Business-deutsch sagt. Oder 'Networking'. Für uns ist es ein (zugegeben nicht ganz) gewöhnlicher Marracash-Ausflug. Klassenfahrt halt. Es beginnt der erste Abend einer exorbitanten Ausschweifung. Drei Tage Kalauergewitter, Kontakteknüpfen, chronischer Schlafmangel, abartige Flippers-Ohrwürmer (samt Tanzeinlage), durch Übermüdung fast schon wahnhaft Gute Laune usw. Die übliche Marracash-Debilität, die wir normalerweise Tourkoller nennen, nur diesmal ohne die unangenehm riechenden Nebenwirkungen. Im Übrigen sehr Umsatz fördernd für die lokalen Brauereien.

Das mehrwöchige Taksirat Festival, das parallel zur Konferenz stattfindet, liefert den perfekten Nährboden für den Nonsens des Grauens, den wir verbreiten. Von nachmittags bis nachts finden Konzerte, Theater- und Filmaufführungen in verschiedenen Locations statt. Der perfekte Gegenpart zu Konferenz, Panels und Promotionarbeit. Engagierte Nachwuchsbands aus der Region und gestandene Künstler aus ganz Europa geben sich die Klinke in die Hand. Sehr gelungen. Ob wir auch spielen? Nein, weil... Ja, warum eigentlich nicht? Die halbe Band haben wir zwar zu Hause gelassen, aber wir wären nicht Marracash, wenn nicht trotzdem irgendetwas ginge. Naja, was solls. Beschränken wir uns eben auf die Organisation. Und Harald kann nebenbei versuchen ein paar interessante Acts für seinen Club zu finden.


Ein sinnloser Triumphbogen

Auf unseren unseren täglichen und nächtlichen Streifzügen durch Skopje entdecken wir viele wundersame Dinge im Stadtbild, obwohl wir in den letzten Jahren schon mehrfach hier waren. Die halbe Innenstadt ist inzwischen völlig zugepflastert mit sinnlosen Skulpturen und Denkmälern. Seit 2009 wurden etliche Kaiser in Metall gegossen und mit oder ohne Pferd auf viel zu hohe Stelen gehievt. Triumphbögen wurden in die Erde gerammt und Prunkpaläste aus dem Boden gestanzt. Und das alles inmitten der sozialistischen Prestigebauten, die nach dem großen Erdbeben 1963 zuhauf in der Stadt errichtet wurden. Es sieht aus wie im Disneyland oder bei Sim City, wenn man die richtigen Cheats kennt.

Die Einheimischen finden diese hyper-klassizistische Dekadenz genauso bescheuert wie die meisten Touristen und ärgern sich über die Art, in der ihre Regierung Geld, das sie nicht hat, zum Fenster raus wirft. Da es zu absurd ist um zu weinen, schütteln wir nur den Kopf und lachen darüber. Arme Mutter Cervesa! Diese Gebäude wurden sicher nicht im Sinne der Seligen errichtet. Und das in ihrem Geburtsort! Zum Glück gibt es noch die Altstadt, die Stara Čaršija. Das osmanisch geprägte Viertel sah vor ein paar hundert Jahren sicher nicht viel anders aus als heute. Niedrige steinerne Häuser, enge Gassen, unzählige kleine Läden und Imbisse, die sich aneinander reihen, Moschee, Hammam, der große Bazar... Ein wundervoller Kontrast zum Stadtbild jenseits des Vardarufers.


100. Unabhängigkeitstag Albaniens

Doch genau diese krassen Gegensätze machen diese Stadt so einzigartig. Ein totaler Clash der Kulturen. Und das schönste ist, dass die sogenannten Minderheiten (die ganze Bevölkerung besteht nur aus verschiedenen Minderheiten. Wer gehört eigentlich zur Mehrheit?) größtenteils friedlich miteinander leben. Von gelegentlichem Flaggenverbrennen auf beiden Seiten und Eierwerfen auf Außenminister mal abgesehen. Das hatte aber einen besonderen Hintergrund: Den 100ten Jahrestag der Unabhängigkeit Albaniens. Es war also eher die Ausnahme, das sich Lile und Giorgji am Sonntag nicht in den albanischen Teil der Stadt getraut haben. Zwei Tage vorher sind wir dort noch gemeinsam um die Häuser und Kneipen gezogen. Dann sind wir eben woanders trinken gegangen. Nema frka.

Dafür haben wir in der anderen Kneipe ein Mitglied der exklusiven Biker-Bande Nightwolves kennen lernen dürfen. Das sind so liebe Menschen, dass ihr Präsident nicht nur mit Putin per Du ist, sondern wir auch ein Plakat der Rockerhorde auf ihren Stahlrössern geschenkt bekommen haben. Fast so furchteinflößend wie der große Alexander zu seinen besten Zeiten. Wie reizend! Wenn man solche Freunde hat, braucht man sich vor Nichts zu fürchten. Auch nicht vor penetranten Bettlern, die uns vier Uhr nachts hunderte Meter hinterherhecheln um uns ein paar Denar aus der Tasche zu locken.


Auf dem Bazar

Wir hatten außerdem ein klares Ziel vor Augen: MAMA. Oder offiziell: Kaj Majche. Der (fast) 24/7 Imbiss war DIE Wiederentdeckung unseres Hauptstadt-Besuchs. Das grandiose Schnellrestaurant auf drei Quadratmetern hat uns schon 2009 so wunderbar deliziöse Erlebnisse beschert, dass wir auf der Tour gleich dreimal in Skopje halt gemacht haben. Umso enttäuschter waren wir diesen Sommer, dass uns schlichtweg die Zeit fehlte, an dem einzigen Abend einen Abstecher hierher zu machen. Das haben wir nun endlich nachgeholt.

Dank der unzähligen Taxi-Eskapaden, die wir uns in skopjotisch-dekadenter Manier auch dieses mal wieder geleistet haben (eine Stadtfahrt kostet ca. 1.30€), waren wir praktisch jede Nacht hier um den obligatorischen Post-Suff-Hunger zu stillen. Mit dem vielleicht besten Burek der Stadt. Gefüllt mit heißem Käse und Oliven, Heureka! Neben Mutter Teresa hätte meiner Meinung nach auch die unermüdliche MAMA, nach der der Imbiss benannt ist, eine Seligsprechung verdient. Ach so halt, sie lebt ja noch! Na dann wenigstens den Friedensnobelpreis für ihr Engagement für die kulinarische Völkerverständigung!


Ein letztes Skopsko am Flughafen Thessaloniki

Aber warum waren wir gleich hier? Ach ja, die PIN conference. Da war doch was. Oder auch nicht. Eigentlich hätte es uns am Sonntagmorgen nicht überraschen sollen, dass sämtliche Veranstaltungen des letzten Veranstaltungstages wegen Katerstimmung, Lustlosikgkeit und zwangsläufiger Unpünktlichkeit der Teilnehmer abgeblasen wurden. Wir sind doch auf dem Balkan! Umso gelassener nehmen wir die Information zur Kenntnis, dass sich unsere Reisegruppe am nächsten Morgen schon um fünf Uhr treffen wird.

So treten wir dann nach zwei Stunden Schlaf die unvermeidliche Heimreise an. Auf mein Bett zu Hause freue ich mich zugegebenermaßen schon. Zum Glück kennt der Busfahrer die Strecke nach Thessaloniki bereits gut, so braucht er kaum nach vorne zu schauen. Bei dem dichten Nebel draußen kann man sowieso nichts auf der Straße erkennen. Wie die meisten von uns kann er sich jetzt schon ein kleines Nickerchen gönnen. Na dann Gute Nacht.